Die Zahl der Pflegebedürftigen hierzulande steigt stetig. Und überall fehlt das Geld. Da kommt das Amt gern auf die Kinder zurück. Die zahlen öfter, als sie müssten – weil sie sich nicht auskennen. Von Midia Nuri
Wer hat schon Ahnung von sozialrechtlichen Ansprüchen? Erik L. jedenfalls nicht. Grundsicherung im Alter, Anspruch auf Zuschüsse zu Medikamenten, Freibeträge, Schonvermögen – von all dem hatte der Unternehmer aus Köln zuvor nie gehört. Und so penibel, wie er für das Finanzamt betriebliche und private Konten getrennt gehalten hatte, so genau listete er auch dem Sozialamt seine Einkünfte auf, nachdem er die dafür nötigen Formulare zugeschickt bekommen hatte.
Das Amt wollte prüfen, ob L. oder sein Bruder den beantragten Unterhalt für die heute 64-jährige Mutter ganz oder teilweise selbst übernehmen müssten. Die psychisch erkrankte Frau war nach der Trennung vom Vater zu L.s Bruder gezogen. Der wohnte gleich nebenan, so dass die beiden Söhne sich gemeinsam um sie kümmern konnten.
„Die wollten meine Gewinne der vergangenen drei Jahre wissen, und ich musste ihnen Auskunft über alle Rücklagen und Vermögenswerte geben“, berichtet L. Da sein Unternehmen als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) firmiert, machte das Finanzamt zu seiner Überraschung keinen Unterschied zwischen dem betrieblichen Tagesgeldkonto und dem privaten Giro- und Sparkonto.
„Ich habe betriebliche Rücklagen, um Schwankungen auszugleichen, und privat habe ich auch etwas für schlechte Zeiten zurückgelegt“, erklärt L. „Das alles haben die Beamten offenbar munter zu meinen laufenden Einkünften addiert und daraus mal eben einen monatlichen Durchschnitt errechnet“, erinnert er sich. „Wahrscheinlich noch ein paar Freibeträge abgezogen und heraus kam, dass ich die kompletten 600 Euro Unterhalt monatlich an meine Mutter zu zahlen hätte – rückwirkend für ein Dreivierteljahr.“ Auf Kosten der eigenen Reserven.
Foto: Infografik Die WeltEntwicklung der Anzahl der Pflegebedürftigen
VERMÖGEN SCHONEN
- Immobilie
- Schonvermögen
- Schenkung
- Wohnrecht
Die Anwältin fand jede Menge Entlastendes
„So gern ich meiner Mutter helfe und auch schon geholfen habe“, hält Erik L. fest – „aber ich wäre so selbst Gefahr gelaufen, nicht mehr für mich sorgen zu können.“ Also ging er zur Familienrechtsanwältin Dorothée Linden von der Kölner Kanzlei Linden & Mosel. Die machte eine Bestandsaufnahme seiner unterhaltsrechtlich relevanten Finanzen – und fand jede Menge Entlastendes. So viel, dass das Amt ihn schließlich doch nicht zur Zahlung verpflichten konnte. L. durfte seine Rücklagen behalten.
Der Fall des Erik L. zeigt: Beim so genanntenElternunterhalt geht es ans Eingemachte. Seit Jahren steigt die Zahl der Pflegebedürftigen, von zwei Millionen 1999 auf jetzt gut 2,5 Millionen. 2040 sollen es bereits 3,75 Millionen sein. Die Pflegeversicherung ist da nur ein Tropfen auf den heißen Stein – Zoff zwischen Ämtern und Kindern Pflegebedürftiger ist dauerhaft programmiert.
Zeit für potenziell Betroffene, sich zu informieren, um für den Kampf mit den Behörden gewappnet zu sein. „Die wenigsten Kinder pflegebedürftiger Eltern wissen, was ihnen für sich selbst zusteht, wenn ihre Eltern nicht mehr selbst für ihren Unterhalt oder die Pflegekosten aufkommen können“, stellt Linden fest. Es ist auch kompliziert. Was ihnen zusteht, lässt sich nicht einfach aus irgendwelchen Tabellen herauslesen. Die sagen nämlich – und das ist auch schon die gute Nachricht – nur die halbe Wahrheit.
Grundsätzlich ist es einfach: Das Amt ermittelt, wie viel Unterhalt an eigene Kinder das unterhaltspflichtige Kind laut der nach Einkommen gestaffelten Düsseldorfer Tabelle zahlen muss. „Vom Rest lässt das Amt dem unterhaltspflichtigen Kind 1600 Euro Selbstbehalt“, erklärt Linden. „Und von allem, was darüber hinaus geht, kann das Amt die Hälfte für den Elternunterhalt anfordern.“ Dass die Eltern selbst Unterhalt von den Kindern einfordern, kommt Lindens Erfahrung nach fast ausschließlich bei Eltern mit gerichtlich bestelltem Betreuer vor.
Lebensstandard muss den Kindern erhalten bleiben
Komplizierter, aber dafür wenigstens erfreulich wird es bei der Frage, welche Kosten zusätzlich das Einkommen der Kinder mindern – und es so dem Zugriff des Amts entziehen. Während für die eigenen Kinder vereinfacht gesagt der höchstrichterliche Grundsatz des Bundesgerichtshofs gilt, dass Eltern im Extremfall das letzte Hemd mit ihnen teilen müssen (Az.: XII ZR 72/06), bevor das Sozialamt für den Unterhalt einspringt, hat der Bundesgerichtshof dieser Einschätzung beim Unterhalt für die eigenen Eltern zuletzt einige Riegel vorgeschoben.
Die obersten Richter entschieden: „Der bisher gewohnte Lebensstandard und die eigene Altersvorsorge müssen den unterhaltspflichtigen Kindern erhalten bleiben“, sagt Linden.
Zuletzt fällten die obersten Richter am 7. August ein Urteil, das unterhaltspflichtigen Kindern mit eigener Immobilie die oftmals größte Angst nehmen dürfte: Mit dem Urteil müssen die Sozialämter bei der Berechnung der Unterhaltspflicht die selbst genutzte Immobilie außen vor lassen (Az.: XII ZB 269/12).
BGH zur Heranziehung von Immobilien
Die BGH-Richter stuften „angemessene selbst genutzte Immobilien“ als Teil der eigenen Altersvorsorge zahlungspflichtiger Kinder ein. „Es braucht sich niemand zu sorgen, dass er aus seinem Haus raus muss oder nicht mehr in Urlaub fahren kann“, beruhigt Carsten Müller, Sozialdezernent des Kreises Offenbach.
Allerdings dürfen die Ämter für das Wohnen im eigenen Haus einen geldwerten Vorteil ansetzen, der wie zusätzliches Einkommen zählt. Dem können die Kinder im Gegenzug Kreditverpflichtungen, Grundsteuer und Gebäudeversicherung entgegensetzen.
Wer kein Wohneigentum besitzt, sondern zur Miete wohnt, bei dem müssen die Sozialämter die vollen Kosten für die Warmmiete einkommensmindernd durchgehen lassen – auch wenn die über den etwa bei der Bewilligung von Sozialleistungen sonst üblichen Sätzen liegen. Wer allerdings beispielsweise ein Ferienhaus besitzt, den kann das Amt durchaus zwingen, es zu vermieten.
Für die sonstige Altersvorsorge dürfen unterhaltspflichtige Kinder 20 Prozent vom Bruttoeinkommen behalten sowie weitere fünf Prozent für zusätzliche Altersvorsorgeausgaben. „Diese Kosten müssen die Kinder natürlich nachweisen“, schränkt Linden ein.
Kosten müssen dem Amt nachgewiesen werden
Und auch sonst brauchen unterhaltspflichtige Kinder wenige Einschränkungen hinzunehmen. „Alles, was sich im eigenen Leben als gewohnheitsmäßiger Lebensstandard herauskristallisiert hat, können unterhaltspflichtige Kinder einkommensmindernd ansetzen“, erklärt Linden.
Regelmäßigen Urlaub also ebenso wie teure Hobbies oder auch kostspieligen Musikunterricht für die Kinder. Diese Kosten dem Amt nachzuweisen, sei aber oft ein Problem, warnt Linden. Daher rät sie, sich schon frühzeitig mit dem Thema Pflege zu befassen und die Kosten der eigenen Lebensführung gegebenenfalls frühzeitig zu dokumentieren.
Gerade Pläne seien sonst unter Umständen schwer gegenüber dem Amt zu verteidigen, weiß sie. Ob das nun Rücklagen für eine spätere Dachreparatur am Eigenheim seien oder das Ersparte für einen selbstfinanzierten vorgezogenen Ruhestand. „Wir hatten mal einen Unternehmer, der mit 55 in den Ruhestand gehen wollte und mit 52 in die Beratung kam, weil sich abzeichnete, dass das Vermögen der Eltern für deren Pflege nicht reichen würde.
Nachfragen lohnt auf jeden Fall
„Der Mann hatte sich seine Deckungslücke ausrechnen lassen, die durch den vorgezogenen Ruhestand entsteht und dann dafür Bar-Rücklagen gebildet. Es ging ihm nun darum, diese bereits seit Jahren bestehende Absicht dem Amt später nachzuweisen. Mit anwaltlicher Hilfe gelang ihm das.
Der Gang zum Anwalt kostet zwar Geld, kann sich aber lohnen. Schon weil Anwälte im Gegensatz zu den ebenfalls zur Auskunft verpflichteten Sachbearbeitern immer die aktuelle Rechtslage kennen müssen. Und da die meist verbraucherfreundlich ist, kann sich eine Beratung zumindest dann lohnen, wenn genug Einkommen da ist, dass die Forderung des Amtes hoch ausfällt.
Nachfragen beim Amt sollten Kinder trotzdem stellen – schon weil das die Ansprüche der Eltern in alle Richtungen prüft,. „Neulich hatten wir eine Frau, die keine Witwenrente geltend gemacht hatte“, berichtet Müller. Die hat sie dann unerwartet dazu bekommen – und so die Unterhaltspflicht der Tochter gesenkt. Beim Amt nachzufragen lohnt sich also auch auf jeden Fall.
Geschrieben
am 03/09/2013